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„Sie ist ein Gewinn für unser Hotel“

Tina Bohn ist blind – und arbeitet an der Rezeption von Kochsberg

Sie hat lange Zeit nach einer Arbeitsstelle in der Region gesucht. Über Vorstellungsgespräche hinaus ist sie aber nie gekommen. „Damit haben Arbeitgeber ihre Pflicht gegenüber der Agentur für Arbeit getan – und für mich war jedes Mal Endstation, denn wer behindert ist, kann ja auch nichts, denken immer noch viele Arbeitgeber“, sagt Tina Bohn.

Tina Bohn ist blind. Von Geburt an. Sie war als Frühchen auf die Welt gekommen, durch zu viel Sauerstoff im Brutkasten lösten sich ihre Netzhäute ab. „Ich sehe nichts, gar nichts. Also auch kein schwarz oder dunkel, wie Sehende vermuten. Ich kenne keine Farben, Farben gibt es für Blinde nicht“, sagt die 38-Jährige.

Blind sein ist für sie Alltag. Seit ihrer Kindheit. Trotzdem hat sie fast alles gemacht, was ihre Geschwister auch getan haben. „Meine Brüder sind mit dem Fahrrad vornweg, ich bin hinterher geradelt. Und den Hasenstall musste ich genauso sauber machen wie meine Schwester auch“, sagt die Langenhainerin.

Ausbildung in Frankfurt

Nach der Blindenschule – „das war eine schlimme Zeit, denn da wirst du nur betüddelt, das war gar nichts für mich“ – hat sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation in Frankfurt bei der Deutschen Bahn absolviert. Und wurde nach ihrer mit Note Eins abgeschlossenen Prüfung auch übernommen. „Nach drei Jahren hat die Bahn viele Stellen in der Verwaltung abgebaut, meine war auch dabei“, so Tina Bohn.

Also ging’s 2005 zurück für sie in die Heimat, nach Langenhain. Und ihre Odyssee, einen Arbeitgeber zu finden, begann. Jetzt, nach vielen Jahren, hat die Suche ein Ende.

Sie arbeitet seit 1. August im Hotel und Panorama-Restaurant Kochsberg. „Ich bin Herrn Schmidt und Herrn Gewehr von der Agentur für Arbeit unglaublich dankbar für ihren Einsatz und die Vermittlung. Und natürlich Herrn Karimé von Kochsberg, dass er mir diese Chance ermöglicht“, sagt Tina Bohn. Ayman Karimé, Betriebsleiter und Prokurist der Werraland-Beschäftigungsgesellschaft, die das Hotel als Inhaber betreibt,  hat ebenfalls nur Lob für Jobcenter und Agentur für Arbeit übrig: „Wir als Arbeitgeber können uns für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung nur bedanken, das war klasse.“

Unbefristeter Vertrag, 30 Stunden pro Woche. Tina Bohns Job ist im Bereich der Hotel-Rezeption. „Frau Bohn ist eine tolle Verstärkung für unsere Telefonzentrale und Unterstützung beim Check-In und Check-Out der Gäste“, sagt Ayman Karimé. Für ihn und die Kollegen sei es eine neue Erfahrung, in einem Hotelbetrieb mit einer sehbehinderten Kollegin zusammenzuarbeiten. „Es steht aber nach gut zwei Monaten schon fest: Frau Bohn ist ein Gewinn für unser Unternehmen. Mit ihrer offenen und freundlichen Art kommt sie bei unseren Gästen sehr gut an“, so Karimé.

Wenn Ohren auch Augen sind

Was auf Sehende verblüffend wirkt, ist für Tina Bohn Alltag: Sie kann mit ihrem Headset auf dem einen Ohr dem Anrufer zuhören und gleichzeitig hört sie auf dem anderen Ohr ihre Vorlesefunktion, während sie auf ihrem Laptop mit völlig normaler Tastatur in Excel oder Word arbeitet. „Die Ohren sind für mich nicht nur Ohren, sondern auch Augen. Genau wie meine Finger auch“, so die blinde Bürokauffrau.

„Wenn ich auf dem Laptop schreibe, wird mir das sofort ins Ohr übertragen.“ Sprachausgabe sagt sie dazu. Eine rasend schnelle Sprachausgabe. „Da versteht man kein einziges Wort, so schnell werden die Worte ausgegeben“, sagt Hotelleiterin Veronika Küllmer staunend.

Für Tina Bohn ist mit der neuen Arbeitsstelle ein Traum in Erfüllung gegangen. Endlich wieder eigenes Geld verdienen, denn das bedeute Unabhängigkeit. Dazu komme noch, dass sie sich bei ihrem neuen Arbeitgeber sehr wohl fühle. „Die Arbeit macht mir riesig Spaß und die Kollegen sind klasse. Von einem auf den anderen Tag gehörte ich dazu. Die Zusammenarbeit mit einer blinden Kollegin war für sie von Anfang an selbstverständlich – das habe ich so noch nie erlebt“, sagt sie. Vielleicht liege es daran, dass sie nicht die Einzige im Kollegenkreis mit einer Beeinträchtigung sei. „Dass hier Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zusammen arbeiten als sei es das Normalste der Welt, kann man nicht hoch genug würdigen“, so Tina Bohn.

Ja, sie habe zu Beginn ein etwas mulmiges Gefühl gehabt. Wie würden Gäste auf sie reagieren? Ein blinder Mensch an einem der sensibelsten Bereiche eines Hotels, der Rezeption, sei ja nicht normal und nicht das, was die Menschen erwarten würden.

Ihre Angst war aber unbegründet. Und selbst wenn ein Gast mal ein komisches Gesicht machen würde: „Ich sehe ihn ja nicht“, sagt sie lachend.

 

Tina Bohn an ihrem neuen Arbeitsplatz, der Rezeption des Hotels und Panorama-Restaurants Kochsberg. Fotos: Winter
Der Knopf im Ohr ersetzt die Augen: Dank Sprachübermittlung arbeitet Tina Bohn genauso schnell mit dem Laptop wie ein Sehender.